Der nachfolgende Text basiert auf dem Buch "Management der Gefühle" des Bruders Dr. Klaus Preiss. Der Inhalt des Textes entspricht also der persönlichen Auffassung dieses Bruders und ist keineswegs identisch mit einer für alle Freimaurer bindenden Welterkenntnis. Eine solche gibt es insoweit nicht, als die Freimaurerei keine Dogmen kennt, sondern dem einzelnen Bruder - freilich in vorgegebenen Rahmen - die Freiheit seines Denkens und Glaubens belässt.
Das Leben des Menschen verläuft in einem fast ständigen Wechselspiel zwischen den beiden oftmals oder gar zumeist entgegengesetzt wirkenden Kräften der Vernunft und der Gefühle. Auch in Lehre und Philosophie der Freimaurerei haben diese beiden Kräfte von Anbeginn an und bis heute eine herausragende Rolle gespielt. Dabei ist ein Wandel insoweit festzustellen, als in der Entstehungszeit der Freimaurerei - dem 18. Jahrhundert - die Vorstellung vorherrschte, dass Gefühle durch die Kräfte der Vernunft unbegrenzt beherrschbar seien. Doch haben die Rituale der Freimaurer gleichwohl schon stets darauf abgezielt, das Unbewusste des Menschen, also die Welt seiner Gefühle, anzusprechen. Dies - das freimaurerische Erlebnis der Rituale - ist bis in die Gegenwart von zentraler Bedeutung für das erfolgreiche Wirken der freimaurerischen \'Arbeiten\'. Heute hat sich zudem auch in der Freimaurerei überwiegend die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Erfolg freimaurerischen Erlebens durch die Eigenart der menschlichen Existenz begrenzt ist, dass nämlich nicht die Vernunft, sondern die Gesamtheit unserer Gefühle - und das heißt unser Unbewusstes - für unser Leben, unser Verhalten und unser Entscheiden eine zumeist dominierende Rolle spielen.
Darum zu wissen, ist daher für jeden Freimaurer von großer Bedeutung. Dieses Wissen beinhaltet einerseits die Erkenntnis, dass bereits der Aufbau des Gehirns die Dominanz der Gefühle bestimmt. Denn die im Stirnbereich angesiedelte Vernunft bekommt alle Signale nur auf dem neuronalen Weg durch jene archaischen Gehirnbereiche, in denen Gefühle und Unbewusstes wirken. Und umgekehrt wird die Vernunft in ihrem Wirken stets durch Gefühle und Unbewusstes entscheidend mitbestimmt und gewissermaßen gefiltert.
Es gibt in diesem Sinne und nach Auffassung nicht nur vieler Gehirnforscher, sondern auch seit Jahrtausenden von Denkern und Philosophen, die Auffassung, dass unser Wille nicht frei ist und letztlich sogar alles Handeln von Gefühlen und Unterbewusstsein festgelegt – determiniert - abläuft. Demgemäß ist unser Leben Vollzug unseres Schicksals, das wir als gläubige Menschen als uns \'geschickt\' und bestimmt wie einen Kelch Wein auszutrinken haben. Eine solche Erkenntnis scheint dem freimaurerischen Streben, die guten Seiten unseres individuellen Wesens zu fördern, zu widersprechen. Aber dieser Schein trügt. Wir haben gleichwohl die Möglichkeit, an uns zur arbeiten und uns sittlich zu vervollkommnen, aber eben zu verstehen als Teil unseres Schicksals und nur im Rahmen der individuell durch Gene und Erfahrung gezogenen Grenzen.
Man kann diesen Zusammenhang von Vernunft und Gefühl auch anders ausdrücken: Gefühle dominieren unser Leben. Wenn wir dies erkennen, dann haben wir eben durch dieses Erkennen (Vernunft) die Möglichkeit und das Instrument in der Hand, Gefühle für unsere Ziele einzusetzen, so wie es die freimaurerischen Rituale seit Jahrhunderten versuchen und vollziehen. Und das heißt nichts anderes als uns nicht nur von unseren Gefühlen \'managen\' zu lassen, sondern umgekehrt unsere Gefühle zu managen. Instrumente dazu liefern uns viele Lehren und Methoden neuzeitlicher Psychologie.
Dieser Abschnitt wäre unvollständig ohne insbesondere hinsichtlich der Logen des Freimaurer-Ordens folgendes zu erwähnen: Die in der Freimaurerei verwendeten Begriffe entsprechen nicht nur generell nicht mehr jener Bedeutung, die wir diesen Begriffen in unserem Alltag beilegen. Dies ist bisweilen etwas verwirrend, dies sollte aber ein jeder wissen, der sich der Freimaurerei nähert. So ist insbesondere der Begriff der Vernunft in der Lehrart der Grossen Landesloge als "göttlicher Funke", also als Spur unseres göttlichen Ursprungs zu verstehen, der immer dann in uns wirksam ist, wenn wir uns diesem göttlichen Ursprung nahe zu sein bemühen. Aus dieser Sicht ist nachvollziehbar, dass dieser göttliche Funke als Meister der Gefühle verstanden werden kann.